BamS und der Weihnachtsmarkt: Wenn die Recherche baden geht …

bamsEine Geschichte ist dann eine journalistische Geschichte, wenn sie auf Fakten beruht, die von Journalisten recherchiert und von jedermann nachprüfbar sind. Das Weihnachtsmärchen, das die Bild am Sonntag auftischt, ist keine journalistische Geschichte. Es ist eine peinliche Geschichte, die davon erzählt, wie Medien zu Fremdenhass und Intoleranz beitragen können, wenn sie sich die Recherche sparen.

Die Bild am Sonntag (BamS) sieht das Abendland in Gefahr:

Heute ist der erste Advent. Und viele werden den Sonntag für einen Spaziergang nutzen zu jener vorweihnachtlichen Festivität, die als Weihnachtsmarkt volkstümlich geworden ist, in Süddeutschland als Christkindlmarkt. Genau das passt aber nicht allen.

So muss etwa in Berlin, nicht nur in Kreuzberg, aber dort ausdrücklich, der Weihnachtsmarkt neuerdings „Winterfest“ heißen.

Laut BamS habe die Umbenennung das Kreuzberger Bezirksparlament verfügt. Es sollten „grundsätzlich keine Genehmigungen für Veranstaltungen von Religionsgemeinschaften im öffentlichen Raum erteilt werden“, so die BamS-Recherche. Und liefert auch gleich die hauseigene Interpretation hinterher:

Aber wo führt es hin, wenn es schon verpönt ist, das Wort Weihnachten nur im Munde zu führen? Sind das christliche Erbe, unsere Kultur, unser Selbstverständnis, unser Wertekanon, auf das Treiben einer „Religionsgemeinschaft“ geschrumpft?

Apropos Interpretation: Auch andere Blätter schlossen sich flugs den BamS-Recherchen an und teilten kräftig gegen Politisch Korrekte, Linke, Grüne, Islamfreunde und Frauenversteher aus. Zum Beispiel die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

Und wo wir schon dabei sind, hätten wir, zur Adventszei-, Entschuldigung: zu dieser winterlichen, geruhsamen Zeit noch Vorschläge einzureichen: Wie wäre es, den Weihnachtsmann künftig anders anzusprechen, sagen wir, als „Mann mit der roten Mütze“? Wobei ja auch die Farbe rot eine christliche und jüdische Tradition hat. Wie wäre es also einfach mit „Mann“? So wird wirklich niemand mehr diskriminiert. (Aber was sagen dann die Frauen?) Denn darum geht es bei diesem besinnlichen – zum Teuf-, äh, Henker mit der Sprache: Darum geht es bei diesem „Fest“ ja auch. Alles andere wäre unchristli-, alles andere wäre nicht feierlich.

Selbst die Politik will hinter den BamS-Recherchen nicht zurückstecken. Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU im bayerischen Landtag schürt direkt mal ein bisschen Ressentiment gegen den politischen Gegner und lässt per Pressemitteilung verkünden:

Dieser Beschluss, getragen von Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann von den Grünen, passt laut Zellmeier zur grünen Verbotspartei: „Erst wollten uns die Grünen das Fleischessen verbieten, jetzt geht es Weihnachten an den Kragen. Weihnachts- und Christkindlmärkte sind fester Bestandteil unserer christlichen Kultur – egal ob in Berlin, in Bayern, oder sonst wo in Deutschland – und vom Grundgesetz gedeckt.“

Einen regelrechten Scoop scheint die BamS da gelandet zu haben. Indes, wie tief ist denn eigentlich die Recherche-Tiefe dieser Bild-Geschichte, an der immerhin drei (!) Autoren gearbeitet haben? Bild-Blog hat nachrecherchiert, d.h. man müsste sagen, der Bild-Blog hat überhaupt mal recherchiert. Denn genau diese, die Recherche, hat die BamS vollständig ausgeklammert. Das Zitat zum angeblichem Weihnachtsmarkt-Verbot, das im übrigen auch nicht vom Bezirksparlament, sondern vom Bezirksamt stammt (und darum auch nichts mit politischen Parteien, sondern wenn überhaupt mit Beamten zu tun hat), hat in Wahrheit überhaupt nichts mit Weihnachtsmärkten zu tun:

Sascha Langenbach, Sprecher des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg, sagte uns auf Nachfrage, die zitierte Entscheidung der „BamS“ (die übrigens von 2007 ist) beziehe sich auf Veranstaltungen, bei denen es um religiöse Selbstdarstellung im öffentlichen Raum gehe (das mit der Selbstdarstellung steht auch im Original-Zitat, die „BamS“ hat es aber einfach rausgekürzt). Weihnachtsmärkte seien davon allerdings gar nicht betroffen.

Und tatsächlich gibt es auch im Berliner Bezirk Kreuzberg explizit „Weihnachtsmärkte“, zum Beispiel den „Weihnachtsmarkt in der Neuen Heimat“, den „Kiezweihnachtsmarkt am Café Eule“, den „Finnischen Weihnachtsmarkt“, den „Stralauer Weihnachtsmarkt“ usw. Der  „Kreuzberger Wintermarkt“, der Stein des Anstosses gewesen ist, heißt auch nicht auf Druck des Bezirktsamts so, sondern weil die Betreiber sich das aus freien Stücken so überlegt haben.

Die Sendung Stern TV wusste das. Sie berichtete aber leider anders und verlieh dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg sogar den Negativpreis „Stern der Woche“: Es war sogar ein Kamerateam vor Ort und hat mit einem Vertreter des Bezirksamts vor laufender Kamera gesprochen. Doch die Passagen, in denen der Amtsvertreter mehrfach darauf hingewiesen hat, dass es keine Anti-Weihnachtsmarkt-Vorschriften in Kreuzberg, dafür aber auch weiterhin „Weihnachts“-märkte geben wird, wurden aus dem Interview herausgeschnitten.

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